Was ist IC?
Die interstitielle Zystitis (IC) wird oft als chronische Blasenerkrankung ohne erkennbare Ursache bezeichnet. Die S2K-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Interstitiellen Cystitis (IC/BPS) beschreibt IC/BPS folgendermaßen: „Die Interstitielle Cystitis (IC/BPS) ist eine nichtinfektiöse chronische Harnblasenerkrankung, für welche keine weltweit einheitliche Definition der Erkrankung existiert.“ 1
IC betrifft weltweit Millionen Menschen, vor allem Frauen, und führt zu belastenden Symptomen wie Beckenschmerzen, häufigem Harndrang und einer erhöhten Miktionsfrequenz. Laut der S2K-Leitlinie ist IC/BPS in Deutschland selten diagnostiziert, und die Dunkelziffer bleibt unbekannt.Die Leitlinie gibt jedoch Prävalenzschätzungen an: „Die Prävalenz für weibliche Patienten liegt bei 52-500/100.000 und die für männliche Patienten bei 8-41/100.000.“ Basierend auf diesen Zahlen wird die Anzahl der betroffenen Frauen in Deutschland auf etwa 22.000 bis 211.000 geschätzt, während die Anzahl der betroffenen Männer bei etwa 3.000 bis 16.000 liegt.
Die Problematik der IC-Diagnose
IC wird oft als Ausschlussdiagnose betrachtet – sie wird gestellt, wenn andere Ursachen der Symptome ausgeschlossen wurden. Laut der S2K-Leitlinie erfolgt die Diagnostik wie folgt: „Die Beschwerden der Patienten können gut mittels Anamnese, körperlicher Untersuchung, Miktionsprotokoll, Schmerzmessbogen und Fragebögen festgehalten werden. Urinstatus, Urinkultur und Urinzytologie schließen Harnwegsinfektionen und ein Harnblasenkarzinom aus.“
Dieses Vorgehen kann problematisch sein, da es Patienten oft ohne klare Behandlungsstrategie zurücklässt. Konventionelle IC-Behandlungen konzentrieren sich auf die Linderung der Symptome, beispielsweise durch Blaseninstillationen, Ernährungsanpassungen oder Schmerztherapie. Infektiöse Ursachen werden selten in Betracht gezogen. 1
Hinweise auf mögliche infektiöse Ursachen
Studien zeigen, dass Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen – die ähnliche Symptome wie IC/BPS aufweisen – biologische Veränderungen in der Blasenschleimhaut zeigen:
Diese Befunde wurden auch bei IC/BPS-Patientinnen beobachtet und könnten die hypersensitiven Symptome erklären. 2
Limitierte Aussagekraft herkömmlicher Tests
Die S2K-Leitlinie betont, dass IC/BPS eine nichtinfektiöse Erkrankung ist: “Bladder Pain Syndrome (BPS) ist ein Symptomenkomplex, bei dem - in Abwesenheit einer Infektion oder einer anderen Grunderkrankung - chronische Unterbauchschmerzen [..]auftreten”
Die Leitlinie empfiehlt als Urinuntersuchung hauptsächlich Urinteststreifen und Urinkulturen. Allerdings ist bekannt, dass weder Teststreifen noch Urinkulturen immer aussagekräftig sind. Die traditionelle Methode der Urinkultur, die seit über 70 Jahren als Goldstandard gilt, wurde ursprünglich nicht für diese Art von Diagnosen entwickelt. 3
Auch die herkömmliche Urinzytologie mit Sedimentieren hat in den letzten Jahren ihre Grenzen gezeigt, insbesondere im Vergleich zur Urinzytologie mit frischem Urin. Weiße Blutkörperchen (Leukozyten) sind ein typisches Zeichen für eine Infektion. Studien haben gezeigt, dass die Anzahl der Leukozyten bereits nach nur zwei Stunden um etwa 60 % sinkt. Daher ist es essenziell, mit frischem Urin zu arbeiten, um genaue Ergebnisse zu erhalten. Es wurde außerdem beobachtet, dass bei einer Infektion die Anzahl der Epithelzellen im Urin erhöht sein kann (dies gilt nicht für alle, aber für die Mehrheit der Patienten). Deshalb sollte dieser Aspekt ebenfalls berücksichtigt werden. Da die Labore in Deutschland meistens nicht mit frischem Urin arbeiten und die Proben vor der Analyse zentrifugiert werden, besteht ein erhöhtes Risiko für falsche negative Ergebnisse. Dadurch können bestehende Infektionen übersehen werden. 4
Moderne Technologien wie PCR (Polymerase-Kettenreaktion) oder NGS (Next-Generation-Sequencing), die präzisere Ergebnisse liefern könnten, werden in der Leitlinie nicht erwähnt. PCR-Tests zur Erkennung geringer Bakterienmengen sind in Deutschland bereits verfügbar. Die NGS-Tests sind jedoch über Labore in den USA oder Großbritannien für deutsche Patienten zugänglich.
Als Alternative zu herkömmlichen Urinuntersuchungen bietet sich auch die Expanded Quantitative Urine Culture (EQUC) an. Dieser Test ist jedoch nur im Vereinigten Königreich verfügbar. 5
Fazit: konventionelle Diagnosemethoden könnten niedriggradige oder eingebettete Infektionen übersehen. Dies wirft die Frage auf: Könnte IC/BPS in einigen Fällen durch chronische Infektionen verursacht werden, die von gängigen Tests nicht erkannt werden?
Erkenntnisse aus der Mikrobiomforschung
Die Mikrobiomforschung bietet neue Perspektiven für die Diagnostik und Therapie von IC/BPS. Studien zeigen:
1. Blasenmikrobiom: DNA-Sequenzierungen des Urins von IC/BPS-Patientinnen zeigen eine verminderte Bakteriendiversität, aber einen Überschuss an Laktobazillen im Vergleich zu gesunden Frauen. 6
Die Rolle von Laktobazillen im Zusammenhang mit der Gesundheit der Blase ist komplex. Studien zeigen, dass diese Bakterien sowohl in der Blase gesunder Frauen als auch bei Frauen mit Harnwegssymptomen vorkommen können. Während bestimmte Arten wie L. crispatus und L. iners eine schützende Funktion gegen Harnwegsinfektionen haben könnten (7), zeigen andere Studien, dass sie unter bestimmten Bedingungen schädlich sein können. Zum Beispiel wurde festgestellt, dass L. iners die Wirkung der Bacillus-Calmette-Guérin-Therapie (BCG), die bei nicht-muskelinvasivem Blasenkrebs eingesetzt wird, beeinträchtigen kann (8). Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Auswirkungen von Laktobazillen artspezifisch und abhängig von den klinischen Umständen variieren können. Weitere Forschung ist notwendig, um die potenziellen Vorteile dieser Bakterien besser zu verstehen und ihren Einsatz als biotherapeutische Option zu bewerten.
2. Darmmikrobiom: Stuhlproben von IC/BPS-Patientinnen zeigen niedrigere Konzentrationen bestimmter Bakterien, darunter *Faecalibacterium prausnitzii* und *Odoribacter splanchnicus*. 9
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine gestörte bakterielle Balance sowohl in der Blase als auch im Darm eine Rolle bei IC/BPS spielen könnte.
Warum wirken Kurzzeit-Antibiotika bei IC oft nicht?
Kurzzeitige Antibiotikatherapien haben bei Patientinnen, die eine IC/BPS-Diagnose möglich fälschlicherweise erhalten haben, häufig keinen Effekt auf die Symptome. Dies könnte daran liegen, dass sich die Infektion in manchen Fällen in die Blasenschleimhaut "eingebettet" hat. Solche eingebetteten Infektionen können nur durch langfristige Antibiotikabehandlungen in Kombination mit einem Harnwegsantiseptikum wie Hiprex vollständig beseitigt werden.
Die Blasenwände benötigen in der Regel 6 bis 12 Monate, um sich vollständig zu erneuern, und die Therapie kann, abhängig von der Schwere der Infektion, sogar noch länger dauern. Während dieses Prozesses helfen die Antibiotika, die Bakterien zu reduzieren, und Hiprex verhindert die Neubildung von Biofilmen, die als Schutzmechanismus der Bakterien dienen. 4
Erfahrungsberichte betroffener Frauen
Wir haben bereits mit mehreren Frauen gesprochen, die zunächst mit der Diagnose IC leben mussten. Später stellte sich jedoch heraus, dass sie an einer eingebetteten Harnwegsinfektion litten, die von herkömmlichen Tests nicht erkannt wurde. Diese Frauen suchten spezialisierte Behandlungsmöglichkeiten (z.B. in England) und konnten durch angepasste Therapien ihre Symptome erheblich verbessern oder sogar vollständig beseitigen.
Ein Appell für neue Ansätze
Die aktuellen diagnostischen Standards und Behandlungsstrategien scheinen nicht alle Aspekte der Erkrankung zu berücksichtigen. Fortschritte in der Mikrobiomforschung und moderne diagnostische Tests könnten dazu beitragen, IC/BPS besser zu verstehen und effektivere Therapien zu entwickeln.
Es ist Zeit, die Definition und Behandlung von IC/BPS kritisch zu hinterfragen und neue Technologien in die klinische Praxis zu integrieren.
Quellen
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