● Hallo Madeleine. Vielen Dank, dass du dem Interview zugestimmt hast und über deine Geschichte erzählen magst. Magst du dich kurz vorstellen?
Danke, dass ich dabei sein darf. Ich bin verheiratet, 33 Jahre alt und arbeite bei einer Behörde.
● Du bist an einer eingebetteten Blaseninfektion erkrankt. Was waren deine Symptome zu Beginn deiner Erkrankung?
Rückblickend gesehen habe ich schon seit ich 18 Jahre alt bin Probleme mit meiner Blase. Erst hieß es Reizblase. Dann bekam ich im Jahr 2020 eine Blasenentzündung, welche mit 2 Antibiotika behandelt wurde. Anschließend waren im Urin keine Keime mehr zu sehen, obwohl es mir nach Ende der Antibiotika deutlich schlechter ging als vorher. Es war die Hölle. Viel schlimmer als jede Blasenentzündung, die ich in meinem Leben je hatte. Ich hatte Brennen und vor allem einen Harndrang, den ich nicht beschreiben kann. Ich bin die Wände hochgegangen, habe keine Nacht mehr als eine halbe Stunde schlafen können. Ich habe mich damals wirklich gefragt, ab wann man an Schlafmangel stirbt weil ich einfach so fertig war.
"Ich habe mich von dem Arzt sehr unverstanden gefühlt. Alles wurde auf meine Psyche geschoben."
● Welche Ärzte hast du kontaktiert und was wurde dir gesagt?
Zuerst war ich bei meiner Hausärztin. Nachdem im Urin aber nichts mehr zu sehen war, habe ich dort keine Hilfe mehr bekommen. Es hieß, die Blase sei nur noch gereizt von der Blasenentzündung und das würde sich legen. Aber ich wusste von Anfang an, dass da was nicht stimmt. Denn die Symptome waren jetzt zigfach schlimmer als zu dem Zeitpunkt, in dem man die Bakterien im Urin sehen konnte. Da ich keine weitere Behandlung erhielt, bin ich zum ersten Urologen gegangen. Dieser verschrieb mir sicherheitshalber nochmal Antibiotika. Als diese nicht halfen, war er ratlos. Meine Beschwerden wurden abgetan. Aufgrund einer anderen Erkrankung, die ich habe, entschied ich mich, zu einem Privatarzt zu gehen. Da diese in meiner Erfahrung mehr und besser untersuchen. Ich fuhr also eine Stunde zu einem Privatarzt. Wieder unauffälliger Urin. Er verschrieb mir ein Medikament gegen Harndrang, was aber kaum half und überwies mich ins Frankfurter Klinikum für eine Urodynamik. Für diese Urodynamik musste ich das frische Ergebnis einer Kultur vorlegen, da die Untersuchung nur gemacht wird, wenn keine Blasenentzündung vorliegt. Auch wenn wieder keine Bakterien im Urin gefunden worden waren, waren meine Leukozyten auffällig hoch. So hoch, dass das Labor dazu schrieb, dass dies nicht normal sei und auf weitere mögliche Ursachen wie z.B. Ureaplasmen untersucht werden sollte. Ich sprach den Arzt im Krankenhaus darauf an, aber er tat es einfach ab. Keine Keime gefunden, also sei da auch nichts. Die Urodynamik war schrecklich für mich und ich schaffte es gerade mal 80ml einzuhalten. Der Arzt diagnostizierte mir dann Vulvodynie, was in meinen Augen einfach nur Unsinn war. Ich sprach ihn auf interstitielle Zystitis (IC) an, da ich in der Zwischenzeit auch viel selbst recherchiert hatte. Er sagte, er würde die nötige Untersuchung (Blasenüberdehnung und Biopsie in Vollnarkose) machen, aber die Erkrankung sei eh zu selten und ich zu jung, als dass ich sie haben könnte. Ich habe mich dagegen entschieden, ihn die Untersuchung machen zu lassen. Interstitielle Zystitis ist nicht leicht zu diagnostizieren und was wird schon rauskommen, wenn der Arzt selbst es schon von vornherein ausschließt? Ich habe mich von dem Arzt sehr unverstanden gefühlt. Alles wurde auf meine Psyche geschoben.
Ich bin daraufhin in ein Forum für interstitielle Zystitis gegangen und habe mir dort Ärzte empfehlen lassen. Daraufhin habe ich bei einem auf IC spezialisierten Urologen 300km entfernt einen Termin gemacht. In diesem Termin habe ich mich zum ersten Mal endlich ernst genommen gefühlt. Ich habe ihm meinen Verlauf geschildert und meine aktuellen Beschwerden und er war direkt der Meinung, dass tatsächlich IC dahinter stecken könnte. Er war so nett mich gleich 3 Tage später in die OP zu bringen. Der Krankenhausaufenthalt war schlimm, da ich mit den Beschwerden noch 5 Tage einen Katheter tragen musste. Aber zum ersten Mal hatte ich das Gefühl einen kompetenten Ansprechpartner zu haben, der mir glaubte, mich ernst nahm und für mich da war. Die Diagnose bestätigte sich dann auch direkt nach der OP. Das war natürlich erstmal ein Schock für mich, denn für IC gibt es kaum Therapien und nur sehr schlechte Aussichten. Keine Heilung, oft kaum Besserung. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie mein Leben so weitergehen sollte.
● Wie sah dein Alltag aus mit der unbehandelten Krankheit bzw den Symptomen?
Man kann eigentlich gar nicht von Alltag sprechen. Es ging mir extrem schlecht. Die Symptome waren so schrecklich und ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Dazu noch der gravierende Schlafmangel der auch meine andere Vorerkrankung immens verschlimmerte. Ich konnte nicht mehr arbeiten und auch sonst nicht am Leben teilnehmen. Ich war sehr verzweifelt und habe jeden Tag geweint. Ich konnte das Haus nicht mehr verlassen und hatte keinen Lebenswillen mehr.
● Wie hast du von dem Behandlungsansatz in London erfahren?
Ich wusste, dass die Krankenkasse kaum Therapien für IC bezahlt. Außerdem wollte ich die Diagnose nicht "auf mir sitzen lassen". Die Diagnose IC bedeutet, dass die Blase entzündet ist ohne Bakterien und man weiß nicht weshalb. Das fand ich sehr unbefriedigend. Ich versuchte erst auf Naturheilkundliche Therapien zurückzugreifen, da ich damit in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht hatte. Ich suchte mir eine ganzheitliche Frauenärztin, die erstmals auch auf Ureaplasmen und Co untersuchte. Leider kam alles negativ zurück. Dann schlug sie mir den Cystitis Check in Herborn vor. Dieses Labor testet den Urin per PCR, also sehr viel genauer als eine normale Kultur. Hier waren zum ersten Mal endlich Bakterien zu sehen. Aber wieder ein Schock: gleich 3 verschiedene Stämme. E-Coli, E-Faecalis und der multiresistente Krankenhauskeim Mrgn... Ich versuchte es mit der vorgeschlagenen Therapie vom Labor Herborn, aber das verschlimmerte alles nur noch und Antibiotika halfen nicht. Wir versuchten es mit Darmaufbau und Ernährungsumstellung, Oreganoöl etc aber ohne Erfolg.
Also belass ich mich weiter und stieß durch Zufall bei Facebook auf eine Gruppe zum Thema eingebettete Blasenentzündung. Hier erfuhr ich, dass Urinkulturen oftmals negativ aussehen, wenn die Bakterien sich unter der Schleimhaut eingebettet haben. Das heißt aber nicht, dass dort keine Bakterien sind. Ich habe mich viel belesen und der Ansatz hat mich überzeugt. Außerdem war ich sehr verzweifelt und bereit alles zu tun, damit es mir besser geht. Mittlerweile waren 2 Jahre vergangen und ich hatte diverse Antibiotika sowie alle pflanzlichen Mittel, die es auf dem Markt zu kaufen gibt, ausprobiert, alles ohne auch nur den Hauch eines Erfolgs. Die Beschwerden waren jeden Tag schrecklich, es gab nicht einmal bessere Tage, an denen es mal etwas besser war. Also habe ich mich recht schnell entschieden, in die Klinik nach England zu fahren. Das war meine letzte Hoffnung.
● Wann bist du das erste Mal nach London gereist und was wurde dort gemacht und gesagt?
Ich hatte meinen ersten Termin in England im November 2022. Der Urin wurde auf Leukozyten und Epithelzellen (also Entzündungsanzeichen) untersucht. Die Ärztin war geschockt. Meine Werte waren extrem hoch, selbst für eine Klinik, die extra auf solche Spezialfälle spezialisiert ist. Sie sprach davon, dass ich eine wirklich schwerwiegende ernsthafte Infektion habe. Ich war so glücklich, dass ich im Arztgespräch weinen musste. Endlich eine Ärztin, die erkannte, was ich schon lange wusste. Die Ärztin sagte daraufhin zu mir, dies sei kein Grund zur Freude, die Lage sei sehr ernst. Sie erklärte mir die Grundlagen der Behandlung und verschrieb mir Cefalexin und Hiprex. Ich fühlte mich endlich angekommen und hatte wieder etwas Hoffnung. Ich bekam im Anschluss noch einige PDF Dokumente per Email, in denen viele Fragen nochmal erläutert wurden sowie das Klinikkonzept etc.
"Mittlerweile nach 2 Jahren Behandlung geht es mir sehr viel besser. Ich bin immer noch nicht beschwerdefrei...Ich würde sagen, es geht mir zu 80% besser."
● Wie haben sich deine Symptome seit Behandlungsbeginn bis heute entwickelt? Wie geht es dir?
Aus den PDFs der Klinik wusste ich, dass es bei einer eingebetteten Blasenentzündung sehr lange dauern kann, bis sich die Symptome bessern und man geduldig sein muss. Ich fing an das Hiprex und die Antibiotika zu nehmen und die ersten 2 Monate tat sich gar nichts. Ich wusste aber, dass das nicht ungewöhnlich ist und versuchte geduldig zu sein. Dann, nach 2 Monaten, fing es an, dass ich stundenweise eine ganz kleine Besserung hatte. Dann mal einen halben Tag. Dann einen usw. Bei meinem zweiten Termin nach 3 Monaten hatten sich meine Werte enorm verbessert und zum ersten Mal schlug eine Therapie an. Allerdings wurden die Symptome nur sehr sehr langsam besser und ich hatte viele Rückschläge und Flares (Schübe). Wir haben mehrfach die Dosierung und auch Antibiotika gewechselt. Aber alles in allem ging es voran.
Mittlerweile nach 2 Jahren Behandlung geht es mir sehr viel besser. Ich bin immer noch nicht Beschwerdefrei, aber meine Symptome haben sich so stark verbessert, dass sie meistens ganz gut auszuhalten sind. Ich hatte sogar schon einige kurze symptomfreie Zeiten. Aber es ist noch wechselhaft. Ich würde sagen, es geht mir zu 80% besser.
● Was sind deine Hoffnungen für die Zukunft?
Ich hoffe natürlich, die eingebettete Blasenentzündung ganz wieder loszuwerden. Oder wenigstens im Griff zu haben, ohne mein Leben lang Antibiotika nehmen zu müssen. Aber noch ist es so, dass es sich extrem auswirkt, wenn ich auch nur eine Tablette Antibiotikum vergesse. Das macht mir große Angst. Aber ich versuche nicht zu viel darüber nachzudenken und optimistisch zu bleiben.
"Es gibt im Grunde keine Versorgung. Die eingebettete Blasenentzündung, die als Diagnose in England mittlerweile offiziell anerkannt ist, gibt es in Deutschland nicht. Werden in der normalen Urinkultur keine Bakterien gefunden, wird man gar nicht oder nur unzureichend behandelt."
● Was würdest du dir von deutschen Fachärzten wünschen und wie siehst du die Versorgung im Bezug auf eine eingebettete Blaseninfektion in Deutschland?
Es gibt im Grunde keine Versorgung. Die eingebettete Blasenentzündung, die als Diagnose in England mittlerweile offiziell anerkannt ist, gibt es in Deutschland nicht. Werden in der normalen Urinkultur keine Bakterien gefunden, wird man gar nicht oder nur unzureichend behandelt. Es gibt meines Wissens nach in ganz Deutschland nur eine handvoll Ärzte, die die Patienten der Klinik in London zumindest unterstützen. Aber behandeln kann und will es in Deutschland niemand. Ich würde mir wünschen, dass die Fachärzte hier sich die neuesten Studien und Erkenntnisse dazu anschauen und nicht stur alles abtun, was sie nicht kennen. Es gibt viele Erkrankungen die erst noch entdeckt werden mussten und es ist für die Patienten eine Zumutung, wie man teilweise von den Ärzten behandelt wird. Und das obwohl wir sowieso schon so leiden. Meine englische Ärztin hat sich auch bereiterklärt auf eigene Kosten nach Deutschland zu fliegen und einen Kongress abzuhalten. Leider finden wir hierzu keine interessierten Ärzte. Ich bin immer noch mit meinem IC Spezialisten in Kontakt. Er ist der Thematik gegenüber offen, wenn auch skeptisch. Er sagte mir ganz klar, dass in Deutschland von Seiten der Ärzte kein Interesse daran bestehe. Denn IC Patienten bringen dem Arzt kein Geld. Im Gegenteil. Aus Arztsicht sind sie lästig, denn sie sind schwierig, langwierig und sehr individuell. Noch dazu sind sie nicht lukrativ, da die Kasse fast keine Kosten übernimmt. Ich bin ihm sehr dankbar für seine ehrlichen Worte. Er erwägt auch selbst nach England zu fliegen und in der Klinik zu hospitieren. Das fände ich wirklich toll. Denn er hat viele Patientinnen die extrem leiden.
Das Mindeste, was ich aber von den Ärzten erwarten würde, wäre wenigstens, dass man ernst genommen wird und nicht einfach alles auf Stress oder die Psyche geschoben wird. Das ist leider bei sehr vielen Frauen immer noch der Fall und wir stehen dann völlig alleine ohne Hilfe da. Ich bin aber sehr froh, dass sowohl meine Hausärztin, als auch mein Urologe die Therapie unterstützen. Ich weiß, dass das absolut nicht selbstverständlich ist.
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